Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium Wolmirstedt

Sachsen-Anhalt Der „gestrandete Zug“

Heute vor 74 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Knapp einen Monat vorher strandete in Farsleben bei Magdeburg ein Zug mit 2.500 Gefangenen aus Bergen-Belsen. In Deutschland und der Region ist die Geschichte weitgehend unbekannt. In den USA und Israel ist dagegen eine Reihe an Büchern erschienen, die Liebesgeschichte zweier Gefangener wurde in New York auf die Bühne gebracht und Überlebende treffen sich regelmäßig.

von Anne-Marie-Kriegel, Landeskorrespondentin Sachsen-Anhalt MDR AKTUELL

Flyer liegen auf einem Tisch
„Gestrandeter Zug“ ist der Titel eines Schulprojekts, das an einen Gefangenen-Transport aus dem KZ Bergen-Belsen erinnern möchte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wer heute mit der S-Bahn von Stendal nach Magdeburg fährt, ahnt nicht, dass er auf einer Strecke unterwegs ist, auf der im April 1945 ein Gefangenen-Transport aus dem KZ Bergen-Belsen strandete. 2.500 Menschen an Bord, der Zug mit Dutzenden Waggons so lang, dass er fast in den benachbarten Ort reichte. Neben großem Hunger grassierten im Zug auch Krankheiten wie Typhus, viele Menschen starben auf der Fahrt.

Amerikanische Soldaten befreiten die Gefangenen. Bauern aus Farsleben nahmen die Menschen auf, bevor sie zur Unterbringung in die Kasernen nach Hillersleben kamen. Zur Erinnerung treffen sich die Überlebenden in den USA und in Israel bis heute. Sie seien sehr gut vernetzt, sagt die Geschichtslehrerin Karin Petersen, die sich der Geschichte angenommen hat.

Das Konzentrationslager Bergen-Belsen

Neben vielen Büchern gebe es inzwischen Websites und seit vielen Jahren auch eine Stiftung in Holland, die Geld für den Gedenkstein in Farsleben sammelt, erzählt Petersen. Hier in der Region sei das Thema hingegen nicht bekannt. Das liege daran, dass es nur sehr wenige Menschen gebe, die damals Kinder waren, die sich daran erinnern könnten. Zudem sei das Thema zu DDR-Zeiten tabuisiert worden.

Schulprojekt gegen das Vergessen

Das könne so nicht bleiben, dachte sich Petersen und hat deshalb eine Arbeitsgruppe an ihrem Gymnasium in Wolmirstedt und den Verein „Gestrandeter Zug“ gegründet. Zur Arbeitsgruppe gehört auch die Schülerin Johanna Mücke. Sie interessiert sich besonders für Englisch.

Für das Projekt übersetzt sie Briefe und Texte von Überlebenden, ist mit einigen in Kontakt. Im Januar bekam sie dann das erste Mal Post von einem heute 94-jährigen, ehemaligen Soldaten aus den USA. Dieser Brief sei etwas Besonderes gewesen, sagt sie mit leuchtenden Augen:

Es war beeindruckend und überraschend, auf einmal diesen richtig großen Umschlag aus Amerika, diesen Brief von einem Soldaten von damals in der Hand zu halten.

Johanna Mücke, Schülerin

Das sei für sie wie eine Zeitreise gewesen, sagt Johanna. Der Mann habe ihr angeboten „zum 14. April 1945 zurückzugehen“, als er das erste Mal beim Zug war und die vielen Toten und Verletzten gesehen hat.

Auch der Überlebenden gedenken

Auch Johannas Mitschüler Nils Dancan Lichtenberg ist mit in der Arbeitsgruppe. Wenn er im kommenden Jahr sein Abi macht, ist es genau 75 Jahre her, dass der Zug in Farsleben gestrandet ist. Dann sollte es auch einen Gedenkort für die Überlebenden geben, findet er. Es gebe zwar viele Gedenkstätten für die Toten, wo Angehörige hingehen könnten. Aber keine Gedenkstätten für die Überlebenden.

In diesem Zug waren sehr viele junge Leute, […] die jetzt noch leben. Und die möchten eine Stelle haben, wo sie hingehen können, wo sie gedenken können.

Nils Dancan Lichtenberg, Schüler

Eine solche Gedenstätte für die Überlebenden des Holocaust wünscht sich Nils. Neben dem Gedenkstein in Farsleben soll es auch Erinnerungstafeln und eine Sonderausstellung geben. Außerdem sind Lesungen geplant. Am 27. Mai wird ein Zeitzeuge zu Gast in Wolmirstedt sein. Er kommt extra aus Großbritannien, und es gibt eine Lesung aus seiner Autobiografie.

MDR aktuell, Nachrichtenradio vom 08.Mai 2019

https://www.mdr.de/nachrichten/politik/gesellschaft/konzentrationslager-haeftlinge-befreiung-sachsen-anhalt-100.html